Ein Beitrag von Peter Ippolito:
Frei nach Heinrich Heine: Träume ich von den Sozis in der Nacht, werde ich um den Schlaf gebracht. Gott sei Dank schlafe ich trotz der Nachrichten über meine Partei noch gut. Nachrichten, die sie sich selbst zuzuschreiben hat, Nachrichten, die diesmal nicht von der Bildzeitung und der geliebten Springerpresse erfunden oder zumindest lanciert worden sind. Nein, das können wir inzwischen allein und sogar noch besser als die Medien. Das liebevoll GroKo genannte Gespenst erschreckt eine Partei und deren Führung so in Mark und Bein, dass sie dabei mit vollen Segeln in den Untergang fährt – und ich bin mitten drin.
Das Scheitern von Jamaika
Ich bin schockiert bei dem Gedanken, dass ich Mitglied einer Partei bin, die seit rund vier Monaten um sich selbst kreist und kreist und kreist. Schon als Kind war mir klar, dass, wenn ich mich in den Schmollwinkel zurückziehe, ich irgendwann wieder rauskommen muss. Oder um mit Herbert Wehner zu sprechen: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“
Noch nachvollziehbar erscheint die Aussage vor der Wahl, nicht in eine große Koalition eintreten zu wollen. Nach der Wahl hätte es zu sagen genügt, dass der Auftrag zur Regierungsbildung bei den anderen Parteien liegt. Nach dem Scheitern von Jamaika scheint dann vollends der Fluch der Karibik über unseren Parteivorstand hereingebrochen zu sein. Als ich die Erklärung des Parteivorstandes hörte, dass der Eintritt in Verhandlungen mit der CDU weiterhin abgelehnt wird, habe ich mit Schlimmem gerechnet.
Martin Schulz gibt den Depp
Aber es kam schlimmer. Martin Schulz gibt den Depp und verkündet lauthals und mehrfach unter dem Applaus des gesamten Vorstandes: Keine große Koalition. Anders als bei einem Schiff entscheidet aber der Kapitän nicht allein, auch die Offiziere waren beteiligt. So viel Blauäugigkeit macht mich schier fassungslos. Vielleicht wäre es gut gewesen, mal mit dem Bundespräsidenten Kontakt aufzunehmen, bevor man sich in eine Position bringt, die keinerlei Bewegungsspielraum mehr zulässt?
Aber wahrscheinlich sind moderne Kommunikationsmittel wie Fernschreiber und Faxgerät im Willy-Brand-Haus nicht vorhanden. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es Menschen gibt, die in jedes Mikrofon beißen müssen und es so lange festhalten, bis sie Gehör – ich betone: Gehör! –, nicht Verständnis finden. Bei so manchem Interview mit unseren Spitzengenossen habe ich nicht nur wegen der hängenden Mundwinkel abgeschaltet.
Mit einer Halse in Richtung GroKo
Nach Gesprächen beim Bundespräsidenten folgte die Halse. Richtig: Die Halse, denn von Wende mag ich auf Grund der anderweitigen Belegung nicht sprechen. Ja, wir tun das was die Menschen von uns wollen, wir sprechen mit den Anderen. Selbstverständlich ergebnisoffen, aber natürlich auch sozialdemokratisch. Ich gebe zu, ich war skeptisch, aber so viel Ehrlichkeit muss sein: Das Verhandlungsergebnis kann sich sehen lassen. Kein großer Zukunftsentwurf, aber solide sozialdemokratische Politik in vielen, wenn auch nicht in allen Bereichen.
Soweit so gut. Uff, das Felsenriff nochmal umschifft. Ich bin zwar nicht zufrieden, aber durchaus positiv gestimmt. Dann die Nachricht, die mir die Sprache verschlagen hat. Der Kapitän der Partei will auch noch Offizier in der Regierungstruppe werden. Normalerweise hätte ich gedacht: Logisch.
Mit Kanonendonner in die Versenkung
Ich grub in meinem Hirn und holte eine wohl schon verschüttet geglaubte Erinnerung hervor: „Ich werde niemals Minister im Kabinett unter Angela Merkel“. Souveränität bei der Besetzung von Ämtern hatte ich zwar nicht wirklich erwartet, Folgendes aber doch erhofft: „Wir haben den Entwurf eines Koalitionsvertrages verhandelt. Dieser steht bei den Mitgliedern zur Abstimmung. Sollte diese Abstimmung zu einem Ja führen, werden wir uns über die Besetzung von Ministerposten unterhalten“.
Dass es unserer Parteiführung innerhalb von knapp 12 Stunden aber gelang, die gut anlaufende Diskussion über Inhalte im Kanonendonner zu versenken, ist schon ein Meisterstück der besonderen Art. Dass danach der geschäftsführende Außenminister noch den Meuterer gibt – ach, sei es drum. Ich hatte vorher schon Kopfschmerzen vom Kopfschütteln.
Kevin macht klar zum Entern
Damit aber nicht genug. Die Jusos haben endlich mal wieder einen vorzeigbaren Redner. Er macht das gut, mancher würde schon sagen populistisch. Er führt den Widerstand gegen die GroKo. Bisher hat er mir allerdings noch nicht klar machen können, was denn Erneuerung in der Opposition nun wirklich bedeutet. Wir erneuern uns und erneuern uns dauernd. Eigentlich müssten wir jetzt schon auf Hochglanz sein.
Zukunftskongress jagt Werkstatt, Regionalkonferenz hastet hinter Strategiedebatte, Meeting schlägt Workshop, Tagung verdrängt Seminar. Finden unsere Wähler diese ständige Nabelschau und den Drang zur Selbstzerfleischung wirklich gut? Ich erinnere mich sehr genau an den Mai 2014, als die SPD Leverkusen zum ersten Mal seit 1975, also seit nahezu vierzig Jahren, rund zwei Prozentpunkte hinzugewann. Kommentar einer Genossin: „Das ist aber wenig, ich hatte mehr erwartet.“ Ich habe den Eindruck, wäre die SPD 1954 gegen Ungarn Fußballweltmeister geworden, hätte sie sich dafür geschämt und es als politisch nicht korrekt empfunden.
Land, Schiff, Untergang
Wenn ich so vor diesem Text sitze, denke ich, es ist an der Zeit, dass in Berlin ein paar über die Planke gehen müssen. Nicht nur der Parteivorstand, sondern auch die Berater im Willy-Brand-Haus. Aber wer den Esel meint, sollte nicht den Sack schlagen. Wer die GroKo aus taktischen Gründen, also um den Parteivorstand zum Rücktritt zu zwingen, ablehnt, sollte in sich gehen und fragen: Ist das politisch? Ist das sozialdemokratisch? Ist das der Umgang miteinander? Ich sage: Nein!
Ich sage, der Parteivorstand und das Präsidium müssen auf einem außerordentlichen Bundesparteitag neu gewählt werden. Demokratisch mit offenen Visier und Gegenkandidaturen. Manchmal frage ich mich ob nicht vielleicht eine Oberbürgermeisterin, ein UB-Vorsitzender, oder ein einfaches Mitglied die bessere Wahl wäre. Zumindest Menschen, die noch wissen, wie Menschen und nicht nur SPD-Mitglieder ticken. Ganz neue Köpfe als Chance begreifen, denn ein Weiter-so könnte dazu führen, dass die Deppen bis zum Untergang auf dem Oberdeck spielen.
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